In einer Zeit voller Krieg und Krisen: Verantwortungsvoller Tourismus steht vor seiner Bewährungsprobe

Bild mit freundlicher Genehmigung von M. Haberstroh
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Geschrieben von Max Haberstroh

Seit dem Ende von COVID-19 scheint sich wenig geändert zu haben. Die Aufarbeitung der Pandemie und die Untersuchung ihrer Ursachen sind weitgehend dem „Business as usual“ gewichen, während der Fokus der öffentlichen Diskussionen auf Herausforderungen wie Klimawandel, Wirtschaftsrezession, marode Infrastruktur, Messerstechereien und sozialen Unruhen liegt.

In der scheinbar parallelen Welt des Reisens und Tourismus hat die Abnutzung des Mantras des nachhaltigen Tourismus kritische Experten dazu veranlasst, Alarm zu schlagen. Was ist mit der Nachhaltigkeit schiefgelaufen? Ist die Versuchung des Greenwashings zu groß geworden? Zweifellos läutet in so mancher Komfortzone die Stunde des irreführenden Lebens, und sprachliche Kosmetik zur Verschönerung von Produkt- und Serviceeigenschaften entspricht nicht mehr dem immer dringlicher werdenden Bedürfnis nach Veränderung. Aber wer trägt die Verantwortung? Gibt es da draußen überhaupt jemanden, der verantwortlich ist? Verantwortung ist die Essenz von Entscheidungen und Beschlüssen. Leider scheint Verantwortung nicht der bevorzugte Ansatz vieler heutiger Galionsfiguren zu sein, die statt sich zu beugen, Entscheidungen zu treffen, auf Delegieren, Verzögern und Aufschieben setzen, frei nach dem Motto: Schauen wir mal – dann sehen wir weiter.

Für viele Menschen ist der Begriff „Veränderung“ gleichbedeutend mit Ärger, doch die Spin-Doktoren sind auf der Hut: Gibt es einen Ersatz für das ausgeblichene Wort „nachhaltig“? Wäre „verantwortungsvoller Tourismus“ nicht ein treffenderer Ansatz und könnte sogar einen mentalen Wandel bewirken? Schließlich hat der Fokus des Tourismus auf die wirtschaftliche, soziale und ökologische Abwägung von Vor- und Nachteilen die Chance, die traditionelle, leichtfertige Praxis des Spiels mit bloßen Zahlenwerten, die gerne in der BIP-Statistik als Grundlage für das Wirtschaftswachstum dienen, zu überdauern.

Talkshows können gut dazu beitragen, das Publikum auf den neuesten Stand zu bringen und das Image von Experten aufzupolieren. Am Anfang steht das Wort, doch den Worten sollten Taten folgen. Tatsächlich könnten verantwortungsvolles Reisen und Tourismus, sorgfältig geplant und konsequent umgesetzt, den Tourismus grundlegend aufwerten und über sein Kerngeschäft als herausragende Dienstleistungsbranche hinausgehen. Neben der Erzielung von Vorteilen durch unternehmerische Leistung engagieren sich Unternehmen sozial – und sie sind sich dessen bewusst. Wohltätigkeit und Sponsoring sind nur zwei Tätigkeitsfelder, denen Unternehmen nachgehen, um ihr gesellschaftliches Ansehen und Image zu stärken. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt: ​​die Erweiterung von Funktionen und Verantwortlichkeiten.  

Eingebettet in ein politisches Umfeld sucht die Reise- und Tourismusbranche zur Förderung der Zusammenarbeit häufig nach Gemeinsamkeiten mit gleichgesinnten Akteuren in Politik und Wirtschaft und nutzt dabei „Kulturdiplomatie“ als Instrument für branchenübergreifende Initiativen. Tourismus kann zwar regionale Identitäten prägen und die Imagebildung als Reiseziel fördern, aber noch mehr – ergänzend – als „Ort zum Leben, Arbeiten, Investieren und Reisen“. Die Idee dahinter: Tourismus würde nicht nur die Werbung für ein Urlaubsziel sein, sondern das gesamte „Standortmarketing“ eines Landes (einer Region, einer Stadt) vorantreiben: ein ganzheitlicherer Ansatz, der die Bedürfnisse und Wünsche der Besucher, der Einheimischen und der Umwelt berücksichtigt. Er könnte ein Höchstmaß an öffentlicher Aufmerksamkeit erregen und schließlich die Wahrnehmung von „t“ als erstaunlich umfassendes Kommunikationsinstrument bzw. als Bündel mehrstufiger Kommunikationsinstrumente stärken. 

Der Tourismus ist der weltweit größte Arbeitgeber (World Travel & Tourism Council – WTTC) und in Deutschland ein sehr wichtiger Sektor, der 11 % des BIP erwirtschaftet. Allerdings gibt es Defizite, die einen Großteil des politischen Potenzials des Sektors ungenutzt lassen: seine Anfälligkeit gegenüber negativen Ereignissen, insbesondere außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs des Tourismus, seine Zersplitterung in überwiegend kleine und mittlere Unternehmen und öffentliche Einheiten sowie sein vorherrschendes Image eines unbeschwerten Freizeit- und Vergnügungsunternehmens.

Folglich wurde der Sektor als „nicht relevant“ eingestuft, was an die politischen Wahrnehmungen des Tourismus während der Pandemie erinnert. Um die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Tourismus zu unterstreichen und seine zentralen Merkmale „relevant“ zu machen, wäre seine erweiterte Funktion als „orchestriertes Cluster mehrstufiger Kommunikationsinstrumente“ von großem Vorteil, einhergehend mit einer strukturellen Umstrukturierung und einer stärkeren Stärkung seiner öffentlichen Einrichtungen. Tourismusministerien müssten eine effektivere Rolle als Speerspitze des Standortmarketings, als Hüter des Dachmarken-Marketings und als Förderer der Standortmarketingpolitik spielen.

Daher sollte das traditionelle Tourismusministerium von der funktionalen Linienorganisation, wie sie weit verbreitet ist, zu einem Stabsorgan an der Spitze der Staats- und Regierungsführung ausgebaut werden. Um sicherzustellen, dass das Ministerium neben den üblichen Verwaltungsvorschriften auch marktorientiert handelt, sollte es durch einen unabhängigen Förderrat ergänzt werden, der über eine ausgeprägte Autonomie verfügt, um operative Flexibilität zu gewährleisten. Zu den Aufgaben gehören die Ausarbeitung eines integrierten Leitbilds, einheitlicher Richtlinien, Strategien und operativer Maßnahmen.

Zum Schock und Entsetzen aller wurde die heutige, von Krieg und Krisen geprägte Zeit nicht verhindert, nicht einmal gemildert – weder von Politikern noch von Friedensbewegungen, Klimagurus, „Corypheus“ der „Friday-for-Future“-Bewegung, den Interessenvertretern der Olympischen Spiele, nicht von den Hofnarren des globalen Karnevals, nicht einmal von den ungehörten Stimmen aus Kirchen, Moscheen und Tempeln – und nicht zuletzt nicht von den Führern der globalen Tourismusbranche.

Wie kann der Tourismus sein Mantra, ein globaler Friedensstifter zu sein, aufrechterhalten? Hat sich das bestehende Muster als unbestrittene Tatsache erwiesen? Beispiele dafür gibt es in der politischen Trickkiste zuhauf, die als Dogmen „ohne Alternative“ festgeschrieben sind. Schließlich bringt der Mainstream die Fälschung zum Vorschein und setzt sie als richtig und wahr fort – wenn auch aufgrund ihrer ewigen Wiederholung. Unsere Hoffnung, dass trotz aller Widrigkeiten alles gut wird, mag mit einer gehörigen Portion Humor und unserem transzendentalen Verständnis einhergehen, dass wir nur Gäste auf Erden sind. Unsere Welt ist unser Gastgeber, und wir alle sind Mitgastgeber, Gäste und Mitschöpfer. Daher sind wir in hohem Maße für die „Vita humana“ (Hannah Arendt) verantwortlich. Es scheint jedoch, dass wir uns dem Verdacht nicht entziehen können, mit dem „unverstandenen Teil jener Macht, die immer das Böse will und immer das Gute wirkt“ (Goethe in Faust) zu konspirieren. Da der Lackmustest noch aussteht, Friedensanspruch des Tourismus bleibt fast ebenso umstritten wie die schleppende Ursachenanalyse von COVID-19.

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