Durch das Gelübde gerettet: Die berühmten Oberammergauer Passionsspiele sind zurück

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Geschrieben von Max Haberstroh

Nach zwei Jahren des Wartens und sechs Monaten intensiver Proben sollten die 42. Oberammergauer Passionsspiele am 14. Mai 2022 uraufgeführt werden.

Optimismus – allen Widrigkeiten zum Trotz

1632, mitten im Dreißigjährigen Krieg, brachten marodierende schwedische Truppen die Pest ins Alpenvorland und erreichten schließlich Oberammergau. „Die Pest steht vor der Tür, niemand will sie hereinlassen – aber der Tod ist schon da“, sagt der Totengräber im Oberammergauer Theaterstück „Die Pest“. Das Stück bezieht sich auf das Jahr 1633, als die Hintergrundgeschichte der Passionsspiele aufgeführt wurde, als die Oberammergauer gelobten, alle zehn Jahre die Passion zu spielen, wenn sie vor dem Schwarzen Tod gerettet würden. Ein Jahr später kam die Pest zum Erliegen, und die Oberammergauer Bürger hielten ihr Versprechen.

Oberammergau ist eines der malerischsten Dörfer des Ammertals in Bayern mit seinen bunt bemalten Häusern und zahlreichen Werkstätten und Läden für Kunsthandwerk, Glasmalerei und Holzschnitzerei – alles Handarbeit mit Hingabe und, ja, mit „Leidenschaft“: Legendär sind die dörflichen Herrgottschnitzer, und die Architektur der Kirchen und Schlösser der Region ist eine Sinfonie voller Lebensfreude in Barock und Rokoko.

Eines der vielen architektonischen Juwelen Oberammergaus ist das 1774 erbaute Pilatushaus, das mit herrlichen Fresken im traditionellen bayerisch-österreichischen Stil (Lüftlmalereien) ausgestattet ist.

Seinen Namen verdankt das Bauwerk dem Fresko „Jesus verurteilt von Pontius Pilatus“: Pilatus' abfällige, unbeantwortete Frage an Jesus „Was ist Wahrheit?“ mag seine von Albträumen geplagte Frau mehr gestört haben als ihn selbst – sicherlich aber auch die Organisatoren der Passionsspiele, insbesondere Herrn Christian Stückl, den unermüdlichen Leiter der Passionsspiele.

Abgesehen von ihrer metaphysischen Suche ergibt sich die Wahrheit manchmal nur aus der Macht der Fakten.

Der Ausbruch von Covid-19 vor mehr als zwei Jahren mit seinen dramatischen Auswirkungen war – und ist immer noch – eine solche Tatsache. Richtig ist, dass die so genannte „Pandemie“ eine Kehrtwende ausgelöst hat. Tatsächlich hat Covid-19 die Globalisierung als hochgehaltenes Allheilmittel der westlichen Demokratien zur Schaffung von Wandel durch Handel auf eine drastische Probe gestellt: Der Wandel kam, aber nicht auf dem gewünschten Weg.

Bei Oberammergau führend Passion Play Team musste die Theatersaison 2020 absagen – ein Schock für alle. Das Stück wurde auf 2022 verschoben – ein weiser Vorsatz, auch wenn es zwei Jahre keinen Theatersommer bedeutete. Dass die UNESCO die Passionsspiele 2014 zum immateriellen Kulturerbe erklärt hat, mag daran erinnernswert gewesen sein, aber neben emotionalen Rückschlägen bestimmten auch entscheidende Sachwerte die Lebensgrundlagen der Menschen in Form von wirtschaftlichen Verlusten und fehlenden Arbeitsplätzen. Sollen die Passionsspiele doch nicht stattfinden – und das gegen alle Widerstände?

Traurig und enttäuscht ließen sich die Oberammergauer Schauspieler ihre lang gewachsenen Haare wieder abschneiden, Hotels behandelten Zimmerstornierungen, Schauspieler stellten ihre Kostüme in den Schrank und alle kehrten in ihr normales Leben zurück. Zugegeben, es gibt einen Unterschied zwischen der Pest damals und Covid heute, ganz zu schweigen von der Haltung der Menschen, wie man der Katastrophe begegnet. Der Kontrast könnte nicht stärker sein: Die unterschiedlichen Gottesschreie und bewegenden Hoffnungsgebete der Menschen in überfüllten Kirchen während der Pest vor 400 Jahren vs. die dringenden Appelle der TV-Virologen, sich impfen zu lassen, mit anschließenden „Auffrischungsimpfungen“ als fragwürdige Stagnation des Gesundheitssektors 'Zugabe'! 

Seit dem 17. Jahrhundert haben sich die Zeiten geändert. Heutzutage täuschen die Mentalitäten im Westen vor, aufgeklärt zu sein: Religion wird entweder in Frage gestellt oder ist zu fundamentalistischen Kirchengemeinden verkommen, die Kirche hat an Einfluss verloren, und Solidaritätsappelle der Regierungen bleiben Lippenbekenntnisse, wenn Verweise auf Gallup-Umfragen genügend Ausreden für Untätigkeit liefern. Aber leider, wenn auch zögerlich, oft widersprüchlich und manchmal chaotisch, gab es verbindliche Entscheidungen zur Pandemie. Die „normative Kraft des Faktischen“ hat sich wieder einmal als stark genug erwiesen, um Menschen an neue Bedingungen anzupassen – und dennoch die meisten von uns allen Widrigkeiten zum Trotz mit Zuversicht und gesundem Optimismus weiterleben zu lassen.

Das Passionsspiel ist zurück – Antisemitismus ist out

Diese Haltung ist dringend erforderlich, da es alarmierende Nachrichten über den von Russland ausgelösten Krieg in der Ukraine mit all seinen schrecklichen Auswirkungen gab. In diesem Rahmen zeigt die Passion Christi die wahre Tragödie der Menschheit, da einige Führer vergessen zu haben scheinen, dass das Töten der falsche Weg auf der Suche nach Glück ist.

Da niedrige Inzidenzzahlen immer mehr zur Aufhebung von Covid-Beschränkungen geführt haben, ist die Achtung vor Präventionsmaßnahmen einer gelasseneren Haltung gewichen, die uns in der Illusion einlullt, dass die Pandemie tatsächlich vorbei ist. Es ist nicht!

Trotzdem ist das Stück zurück: Nach zwei Jahren des Wartens und sechs Monaten intensiver Proben sollten die 42. Oberammergauer Passionsspiele am 14. Mai 2022 uraufgeführt werden, und Christian Stückl freut sich: „Wir haben unbändige Lust, unsere Passion einzubringen Spielen Sie auf der Bühne und wir sind hochmotiviert.“

Tatsächlich ist die Motivation zu spüren, und Veränderungen des Stücks setzen neue Akzente: Teilnehmen können Anwohnerinnen und Anwohner, ob katholische oder evangelische Kirchenmitglieder, christliche, jüdische oder muslimische Dorfbewohner. 2015 wurde Herr Abdullah Kenan Karaca, Oberammergauer mit türkischen Wurzeln, stellvertretender Leiter der Passionsspiele und mit der Rolle des obersten Juden Nikodemus betraut. Auch die Rolle von Judas ist betroffen: Sie wird von einem Schauspieler mit Migrationshintergrund, Herrn Cengiz Görür, gespielt.

Dank Christian Stückl wurden die Spuren des Antisemitismus beseitigt.

„Bereits im frühchristlichen Europa war eine tiefe antijüdische Stimmung zu spüren, deren zentraler Grundsatz der Vorwurf war, die Juden seien am Tod Christi schuld. Dass es der Römer Pontius Pilatus war, der Christus zum Tode verurteilte, wurde dabei völlig außer Acht gelassen.“ Stückl gibt weitere persönliche Einblicke: „Für unser Führungsteam der Passionsspiele war sehr schnell klar, dass Streit nicht durch Zwang geschürt werden darf. Unser Kernteam flog nach Israel und versuchte, direkt vom Judentum zu lernen. Kein Zweifel: In Oberammergau hat Antisemitismus keinen Platz, weder im Stück noch im Leben der Darsteller.“

Ein neuer Anfang

Wie schon 1990, 2000 und 2010 zielt die Neuinszenierung des Stücks 2020 auf eine zeitgemäße Aufwertung des Dramas ab. Die Gründe sind vielfältig: Das heutige Publikum ist anders, und neue Fragen sind aufgetaucht. Wer die Wahrnehmung von Christi Leiden und Auferstehung stärken will, sollte die Ängste und Hoffnungen der Menschen nicht außer Acht lassen. Deshalb wird die Behandlung von Christi Leiden und Tod den Blick auf dramatische Weise auf den Sinn und die Zukunft der menschlichen Existenz lenken. Die Neuinszenierung des Passionsspiels soll den heutigen Besuchern – Gläubigen, Agnostikern oder Atheisten – wichtige Elemente der Botschaft Jesu verdeutlichen. „Es ist uns wichtig, die Tatsache zu untermauern, dass Jesus an den Rand der Gesellschaft geht und sich um die Ausgegrenzten kümmert. Jesus ist bei den Kranken, den Fremden – er schert sich nicht um Hierarchien, er ist erstaunlich konsequent …“, sagt Herr Stückl. „Wie alle anderen kennt auch Jesus die Angst – und bleibt trotzdem standhaft. Jesus Christus ist faszinierend – vielleicht auch für Atheisten“, sagt Christian Stückl schmunzelnd.

Die Rolle des Jesus Christus zu spielen, kann jeden wagemutigen Schauspieler eigentlich nur überfordern. „Die Rolle bedeutet einen inneren Konflikt, eine Störung“, sagt Herr Rochus Rückel, einer von zwei Jesus-Schauspielern. „Szenen, die Jesu Gedanken verinnerlichen, sind viel schwieriger zu spielen, als wenn er deutlich spricht.“ – Rückels Amtskollege Frederik Mayet ergänzt: „Die Wirkung der Passionsspiele trifft direkt ins Herz. Wenn wir mit Elan, Kraft, Aufrichtigkeit und Freude spielen, ist es im Idealfall diese Herangehensweise, die das Publikum elektrisiert. Dann gibt es einen magischen Moment, der auf beiden Seiten Energien freisetzt.“

Magische Momente teilen auch Frau Andrea Hecht als Mutter Maria Jesu und Frau Barbara Schuster als Maria von Magdala, Jesu herausragendste Jüngerin. Andrea Hecht ist sich sicher, dass den beiden Frauen „ganz klar war, was Jesus im Sinn hatte. Ihr Abschied könnte auch hier und jetzt stattfinden. Das ist sehr bewegend. Man verhärtet sich nicht über die Jahre des Passionsspiels.“

Herr Markus Zwink, Musikalischer Leiter und Dirigent des Stücks, weist auf den Charakter der Passionsspiele als „Oratorium“ hin. Herr Zwink sagt: „Stilistisch ist es dem geistlichen Oratorium der Spätklassik nahe, teilweise aber auch der Musiksprache von Felix Mendelssohn Bartholdy.“ Neu ist, dass der Chor das Schauspiel einleitet, das Gelübde der Oberammergauer Bürger von 1633 erneuert und die sogenannten „Lebenden Bilder“ begleitet.

Unter dem neuen Führungsteam mit Herrn Stefan Hageneier als Bühnen- und Kostümbildner wurde besonderes Augenmerk auf die zwölf „Lebenden Bilder“ gelegt, die dem gesamten fünfstündigen Stück Struktur verleihen. Die „Lebenden Bilder“, die Motive aus dem Alten Testament der Bibel darstellen, sind voller Ikonographie und Symbolik, wobei Schauspieler in einem Tableau agieren, wie von einem Schnappschuss festgehalten. „Die neue Idee hinter den ‚Living Images' ist es, eine Vielzahl von Menschen in unterschiedlichen Variationen von Unterdrückung, Flucht und Verfolgung, aber auch von Hoffnung zu zeigen“, sagt Hageneier. Diese Idee verfolgt ihn, seit Flüchtlinge von 2015 bis heute verzweifelt die gefährlichsten Migrationsrouten durch die Wüste und über das Meer einschlugen, um vor Krieg und Willkür zu fliehen.

Besonderer Wert wird auf die historische Situation der Passion Christi gelegt.

Ein langjähriges Streben der jüdischen Bevölkerung drehte sich um einen „Messias“, der einer alten Prophezeiung folgend kommen würde, um die Juden vom römischen Joch zu befreien. Die politische Lage war angespannt und die Stimmung der Menschen düster. Diese Atmosphäre sollte auf das Oberammergauer Passionstheater übertragen werden – eine Herausforderung für die Spielleitung, die die Passionsspiele 2022 als „Neustart“ verstand.

Während die ursprüngliche Bühne des Passionstheaters einem altgriechischen Stil folgte, soll der Umbau in eine „dystopische Tempelanlage“ das antike Zentrum des urbanen Jerusalem darstellen. Das dystopische Leitmotiv zeitloser Fluchtbewegungen spiegelt sich in den „Living Images“ wider, indem sich leuchtende Farben der Hoffnung vor dunklen Hintergründen abheben. Zudem trifft der dystopische Look des Tempels auf die vehementer geführte Kontroverse um Jesu Urteil zu, da seine Jünger leidenschaftlicher gegen ihre Feinde vorgehen. Außerdem wird der Charakter des Judas in seiner gesamten Tragödie stark betont. Judas beabsichtigt, seine eigene, eher politisch inspirierte Vorstellung von Jesu Botschaft zu stärken. Er will den Tod seines Meisters nicht.

Die implizite Wende der Passion

Inzwischen hat die oberammergau Passionsspiele erfreuen sich immer größerer Beliebtheit – im In- und Ausland. Prominente Besucher sind europäische und asiatische Monarchen, renommierte Schauspieler und Ingenieure aus Frankreich, Präsidenten und Millionäre aus den USA, Komponisten und Autoren aus Deutschland und Europa, Rabbiner aus Israel, Päpste, Kardinäle und Politiker – gute und weniger gute.

2010 besuchten 500,000 Besucher das Theaterstück. Doch im 19. Jahrhundert entdeckten US-Amerikaner Oberammergau, als Thomas Cook 1880 aufbrach, um die Region zu besuchen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der internationale Tourismus in die Märchenregion zwischen Schloss Neuschwanstein und Zugspitze Einzug hielt. Deutschlands höchster Gipfel erhebt sich majestätisch über Schloss Elmau, dem prunkvollen Austragungsort des G7-Gipfels. Immer wieder liegt der Zufall in der Luft: Während die Staats- und Regierungschefs der G7 um einen gemeinsamen Nenner ringen und Demonstranten ihre Banderolen schwingen, fasziniert im 17 Kilometer entfernten Oberammergau die Fortsetzung der Passionsspiele ein dankbares Publikum.

Die Oberammergauer Passionsspiele sind eng mit der Pest von 1632 und dem Dreißigjährigen Krieg in Europa verbunden, während Palästina, der historische Schauplatz der Passion Christi, eine römisch besetzte Provinz war. Jetzt sind wir Zeugen eines Krieges, der Tod und Zerstörung in der von Russland belagerten und angegriffenen Ukraine mit sich bringt, während Covid-19, die ominöse Pandemie, die die Welt schockierte, mit wachsenden Fallzahlen weiter lauert und unserer neu gestalteten Fassade der sommerlichen Entspannung und Sorglosigkeit trotzt . – Sind wir in ein dystopisches Zeitalter eingetreten? Hat Oberammergau gerade rechtzeitig seine Passionsspiel-Sommersaison wiedereröffnet?

Die Passion Christi wird als geradezu dystopisches Ereignis empfunden, vielleicht noch mehr während der diesjährigen verschobenen Passionsspiele. Unnötig zu erwähnen, dass die Passion ohne die Auferstehung als extremsten Kontrast den christlichen Glauben null und nichtig machen würde. Allein diese Tatsache rechtfertigt die Verwandlung des Kreuzes als römischer Galgen in ein beispielloses Symbol der Hoffnung und Ermutigung. In seinem Inhalt und der Einfachheit seiner Form ist das Kreuz eines der herausragendsten Symbole der Welt. In Bezug auf zeitgemäße „Branding“-Kriterien können wir sagen, dass es noch nie zuvor ein gründlicheres „Re-Branding“ vom Schlechten zum Guten gegeben – und nachhaltiger – gegeben hat. Es impliziert nichts Geringeres als eine Kehrtwende: Angst und Unterdrückung an Kühnheit und Freiheit abzugeben.

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Max Haberstroh

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